Buchempfehlung: "Positive Mutterschaft" von Lea Dickopf - Plädoyer für mehr Unterstützung von positiven Müttern

Geschätzt 17.300 Frauen leben in Deutschland mit einer HIV-Infektion. Jedes Jahr werden etwa 250 von ihnen schwanger. Eine kleine, aber durchaus nicht homogene Gruppe. Was haben sie trotzdem gemeinsam? Wie sieht ihr Leben mit HIV und Kind aus? Welche alltäglichen Kämpfe müssen sie bewältigen? Diese Fragen will die Soziologin und Politikwissenschaftlerin Lea Dickopf mit ihrem Buch „Positive Mutterschaft“ beantworten. Und macht damit die Realität einer bisher wenig beachteten Gruppe und ihre besondere Stigmatisierung sichtbar.

Eins vorweg: Dieses Buch ist kein Ratgeber. Es verweist zwar auf Hilfsangebote der Deutschen Aidshilfe und anderer Beratungsstellen und Selbsthilfeeinrichtungen, gibt aber selbst keine Empfehlungen, was Frauen mit HIV beachten sollen, wenn sie schwanger werden wollen. Vielmehr geht es darum, welche besonderen Herausforderungen auf positive Mütter nach der Geburt zukommen. Die Autorin Lea Dickopf hat dafür drei sehr unterschiedliche Frauen mit HIV interviewt. Sie haben ihr offenherzig aus ihrem Leben als Mutter erzählt. Ausschnitte aus diesen Interviews analysiert Dickopf im Buch akademisch und ergänzt sie durch Kapitel von Gastautorinnen, die noch mal eine eigene Sicht auf das Leben als Mutter mit HIV beisteuern. So berichtet zum Beispiel die selbst positive Mutter Paula Haagen, warum und wie sie in Berlin eine eigene Selbsthilfegruppe für Mütter mit HIV gegründet hat. Die Gründerin der Stiftung Sexualität und Gesundheit, Harriet Langanke, hält in einem anderen Kapitel ein flammendes Plädoyer für mehr Unterstützung von positiven Müttern.

Sachlich aber auch emotional und lebensnah

Die Autorin Lea Dickopf forscht an der Berliner Humboldt-Universität zu Gender Studies, Soziologie und Europäischer Ethnologie. Die Idee, über HIV und Mutterschaft zu schreiben – so formuliert sie es in der Einleitung zu ihrem Buch – kam mit ihrer eigenen Schwangerschaft und der Auseinandersetzung mit gesellschaftlichen Vorstellungen von und Anforderungen an Mutterschaft. Mit dieser sehr persönlichen Herangehensweise schafft sie auch die Gratwanderung, auf der einen Seite die Erfahrungen, von denen sie in ihrem Buch berichtet, sachlich zu analysieren und dennoch mit Emotionalität auf die Erlebnisse zu reagieren. Einige Kapitel sind sehr akademisch, andere wiederum durch eine lebensnahe Sprache geprägt. „Wir hoffen, dass sich somit alle Leser_innen auf die eine oder andere Art angesprochen fühlen“, erklärt Lea Dickopf im Vorwort die doch sehr unterschiedlichen Passagen auf den folgenden rund 130 Seiten.

Durch die unterschiedlichen Perspektiven entsteht ein sehr vielschichtiges Bild von positiver Mutterschaft. Dennoch wird deutlich, dass bei aller Unterschiedlichkeit der Mütter mit HIV einige Themen immer wieder und bei allen auftauchen. So steht das gesellschaftliche Bild einer „guten Mutter“ – gesund, leistungsfähig und belastbar – im Gegensatz zur Stigmatisierung, unter der Menschen mit HIV leiden. Positive Mütter kämpfen daher oft mit dem Gefühl der Mangelhaftigkeit und dem Druck, gesellschaftlichen Normen an Mutterschaft zu genügen. Die sozialen Medien haben diesen Druck noch einmal erhöht. Zudem gehören Frauen überdurchschnittlich oft zu den „Late Presentern“. Ihnen wird häufig erst viel zu spät ein HIV-Test angeboten, obwohl sie regelmäßig Kontakt mit einem Arzt / einer Ärztin hatten. Ihre Infektion wird deshalb nicht selten erst diagnostiziert, wenn sie bereits unter Aids-definierten Erkrankungen leiden. Durch die Folgeschäden sind sie tatsächlich oft körperlich eingeschränkt und weniger leistungsfähig. Unter diesen Voraussetzungen ein positives Selbstbild zu entwerfen, fällt vielen Müttern mit HIV schwer.

Die Würde der Kinder muss geschützt werden

Diskriminierung im Gesundheitsbereich haben ebenfalls alle im Buch zu Wort kommenden Frauen erleben müssen. Die Erfahrungen reichen vom uninformierten Arzt, der rät, nicht dieselbe Zahnbürste zu benutzen, bis hin zu entmündigenden Vorschriften auf der Entbindungsstation. Immer noch wird Müttern häufig ein Kaiserschnitt geraten, obwohl vaginale Geburten sicher sind, wenn die Viruslast ab der 34. Schwangerschaftswoche unter der Nachweisgrenze liegt. Gastautorin Elke Hartmann berichtet in einem Kapitel, dass ihre Tochter nach der Geburt auf die Säuglingsstation verlegt werden sollte, um dort für zwei Wochen mit Retrovir behandelt zu werden. Nur mit viel Engagement und Hilfe der Online-Beratung der Deutschen Aidshilfe konnte sie diese Maßnahme der Klinik verhindern. Ihre Tochter durfte bei ihr bleiben und den Eltern wurde erlaubt, ihrem Kind die Medikamente selbst zu geben.

Von einem weiteren erfreulichen Beispiel, dass es sich lohnt, sich gegen Diskriminierung zu wehren, berichtet die Gastautorin Sybil Peermöller von der Hamburger Arbeitsgemeinschaft Kinder- und Jugendschutz. Zu ihr kam eine Frau, deren Kinderarzt sich weigerte, die nicht infizierten Kinder weiter zu behandeln, nachdem er von der HIV-Infektion der Mutter erfahren hatte. Sibyl Peermöller hat gemeinsam mit der betroffenen Mutter Beschwerde bei der Ärztekammer eingereicht. Diese hat das Verhalten des Kinderarztes als diskriminierend und stigmatisierend beanstandet. „Durch diese Bewertung“, schreibt Sybil Peermöller, „erhielten sie die Würde zurück, die ihnen der Kinderarzt genommen hatte.“

Offener Umgang mit HIV-Status als Rückgewinnung von Selbstbestimmung

Alle von der Autorin interviewten Mütter erzählen, wie wichtig es ist, über HIV reden zu können. Gleichzeitig teilen sie aber die Sorge, andere Kinder könnten sich von ihren Kindern abwenden. Oder andere Eltern wollten nicht mehr, dass die Kinder gemeinsam spielen, wenn sie den HIV-Status ihrer Mutter erfahren. So steht Müttern mit HIV häufig die Angst vor Diskriminierung der Kinder im Weg, um offen mit ihrer Infektion umzugehen.

Ihr Doppelleben wird durch das Muttersein noch einmal verstärkt. Gerade im ländlichen Raum leben Frauen mit HIV dadurch oft isoliert. Zudem sind sie, wie Zahlen der Deutschen AIDS-Stiftung belegen, fast immer ökonomisch schlechter gestellt als Männer mit HIV.

Dabei könne, so schreibt Lea Dickopf, das Offenlegen des HIV-Status auch eine Möglichkeit zur Rückgewinnung von Selbstbestimmung sein: „Das Sichtbarmachen von Geschichten von Frauen und Müttern ist auch eine Intervention in patriarchale Gesellschaften, die Erfahrungen von Frauen strukturell bislang weitgehend unbeachtet gelassen haben“, schreibt die Autorin. Mit diesem Buch hat Lea Dickopf selber einen großen Beitrag dazu geleistet.

Frauke Oppenberg

Buchcover "Positive Mutterschaft"
© Edition Assemblage

Buchcover „Positive Mutterschaft“ | © Edition Assemblage