Drogenkonsum als Stabilisierungsfaktor in der Beschaffungsprostitution Auszug einer BA-Arbeit von Sarah Hermes

Drogenentwicklungsverläufe bei Frauen

Die Einstiegmotivationen bei Frauen und jungen Mädchen sind höchst unterschiedlich und verschwimmen zu einer komplexen Motivlage. Das Leben in der Szene wird von Frauen anders empfunden als von Männern und gestaltet sich folglich dementsprechend anders. Es gestaltet sich als schwierig, soziale Beziehungen einzuschätzen. So lassen sich die meisten Beziehungen auf Geschäftskontakte und Interessensgemeinschaften reduzieren. Auch Gewalterfahrungen und Todesfälle im näheren Umfeld zeichnen den Alltag in der Szene. Weitere Handlungsmöglichkeiten des Lebens auf der Szene drehen sich um Geldbeschaffung, Dealerei, Prostitution, Diebstähle und Drogenkonsum, Organisation eines Übernachtungsplatzes und Vermeidung von Entzugssymptomen drehen. Während Männer eher Opfer von physischer Gewalt werden, spielen bei Frauen neben Gewalterfahrungen sexuelle Übergriffe eine größere Rolle. Auch Vergewaltigungen sind eher die Regel als eine Ausnahme. Täter sind oft die eigenen Beziehungspartner, drogengebrauchende Freunde, Freier und Dealer. Vorhergegangene Gewalt- und Missbrauchserfahrungen können sich negativ dahingehend auswirken, dass Frauen denken, sie hätten es nicht besser verdient. Gerade im Bereich der Familie wird an dem Machtgefälle am seltensten gerüttelt. Aus diesem Grund finden auch die meisten Übergriffe dort statt. Hier haben die Täter kaum Sanktionierungsmaßnahmen zu befürchten, da sich der Raum der Familie den sozialen Kontrollinstanzen und somit der Öffentlichkeit entzieht. Sie sind vom Säuglingsalter an bis zur Pubertät vor diesen Übergriffen nicht geschützt. Der Kontakt kann einmalig passieren, oder sich über mehrere Jahre hinziehen und kann sehr unterschiedliche Formen annehmen. Diese Übergriffe haben weitreichende Folgen auf das Leben der Mädchen. Viele sehen sich mit den Augen der Täter, machtlos, schmutzig und wertlos. Folgen können Depressionen, suizidale Tendenzen, autoagressives Verhalten, mangelnde Abgrenzungsfähigkeit und geringeres Selbstwertgefühl oder eben auch stoffliche und verhaltensbezogene Süchte sein. Auch das fehlende Vertrauen in die eigene Wahrnehmung ist durch die widersprüchlichen Aussagen der Täter gestört, da die Mädchen ihren eigenen Gefühlen und Erinnerungen nicht mehr vertrauen. Aus Angst von Polizei und Justiz nicht ernst genommen und als drogenabhängige Prostituierte abgestempelt zu werden, sehen sich die Frauen oft nicht in der Lage, die Tat zur Anzeige zu bringen. Neben Abspaltungsmechanismen vom eigenen Körper, um belastende Gefühle und Erfahrungen nicht erleben zu müssen, greifen viele Mädchen und junge Frauen zu psychotropen Substanzen, um negative Gefühle zu unterdrücken. Es ermöglicht vielen Frauen zudem auch positive Gefühlserlebnisse zuzulassen und erlebbar zu machen. Drogen werden zu einer Überlebensstrategie. Da gerade Frauen mit einem Missbrauchshintergrund gelernt haben, dass ihre Bedürfnisse nach Nähe, Geborgenheit und Schutz nur im Tausch gegen ihren Körper realisierbar sind, kommt es zu einer ständigen Wiederholung der gemachten traumatischen Erfahrungen. Es scheint allerdings keinen Kausalzusammenhang zwischensexuellem Missbrauch und Drogengebrauch zu geben. Nicht jedes Mädchen oder jede Frau, die sexuell missbraucht wurde, greift zu illegalen Drogen. Umgekehrt wurde auch nicht jede drogenabhängige Frau sexuell missbraucht.

Wege ins Drogenprostitutionsmilieu

Untersuchungen zufolge gehen in der Bundesrepublik Deutschland von ca. 40.000 drogenabhängigen Frauen, je nach Stichprobe, 25-80% für ihren Drogenkonsum auf den Strich, zeitweise sogar zusätzlich noch für den ihres Partners. Studien zufolge liegt das Einstiegsalter der Frauen bzw. Mädchen durchschnittlich bei 17,5 Jahren. Die Spannbreite des Alters liegt hierbei zwischen 11 und 26 Jahren. Prostitution stellt für junge Mädchen, die beispielsweise aus Heimen oder von Zuhause geflohen sind und auf der Straße leben, eine Möglichkeit dar zu überleben. Sexuelle Dienstleistungen erfolgen hier allerdings eher als Austausch gegen eine Übernachtungsmöglichkeit oder als Zeichen der Anerkennung und Zuwendung. Die Einstiegverläufe sind vielfältig und reichen von Finanzierung des Drogenkonsums über existentielle und ökonomische Notlagen bis hin zur Übernahme von Verantwortung und Unabhängigkeit. Durch die räumliche Überschneidung von Drogen- und Prostitutionsmilieu geschieht ein Einstieg in die Sexarbeit oftmals zufällig und rudimentär durch beispielsweise eine Freundin. Der Einstieg in den Drogenkonsum vor Beginn der Prostitutionstätigkeit zu liegen. Allerdings sind die jungen Frauen bei Aufnahme der Sexarbeit immer noch minderjährig. Für die meisten Frauen stellt die Prostitution eine einfache, schnelle und vor allen Dingen legale Art dar, sich Geld für ihren Drogenkonsum zu beschaffen. Der Straßenstrich ist der Ort für drogenabhängige Prostituierte, an dem der Freierkontakt hergestellt wird und die geschäftlichen Vereinbarungen getroffen werden. Die Gefahren von physischer und sexueller Gewalt werden als Hauptrisiko auf dem Straßenstrich eingeschätzt. Die unsicheren Orte, an denen die Straßenprostitution stattfindet, stellt eine weitere Gefahr für die Frauen dar. Es ist ein Risiko, in ein Auto einzusteigen oder mit dem Freier in dessen Wohnung zu fahren, wo möglicherweise noch mehr Männer warten. Da viele Frauen durch ihre Sozialisationsvergangenheit und Missbrauchserfahrungen die bloße Reduzierung auf ein Sexobjekt bereits erfahren haben, scheint die Hemmschwelle, den eigenen Körper für gewerbliche Zwecke zu nutzen, relativ gering. Gewalt durch Freier, Vergewaltigungen, Raub, die Forderungen nach extremen, mit körperlichen und gesundheitlichen Risiken verbundenen Sexualpraktiken und Freiheitsberaubung gehören zum Alltag der drogenabhängigen Frauen auf dem Straßenstrich. Aus der Studien geht hervor, dass Frauen, die in ihrer Kindheit Opfer von (sexueller) Gewalt geworden sind, häufiger Opfer von Vergewaltigungen auf dem Strich sind. Ihre ökonomische Notlage zwingt sie dazu, bei zwielichtigen Männern einzusteigen und oder sich auf ein Treffen einzulassen. Die Zeit, die die Frauen haben, um sich ein Bild von dem Freier zu machen, beträgt oft nur Sekunden. Die Gefahr vom Freier ausgeraubt, um den Verdienst gebracht oder außerhalb jeglicher Anbindung nackt ausgesetzt zu werden, schwimmt ständig mit. Oft genug werden die Frauen auch in Diskussionen verwickelt bzw. dazu genötigt, in Sex ohne Kondom einzuwilligen. Dies wird mit Schlägen oder auch Betäubungen durchgesetzt. Für die Frauen endet solch ein Übergriff nicht selten lebensbedrohlich. Ferner müssen die meisten mit dem Erlebten alleine fertig werden, da sie bei Erstattung einer Anzeige das Geschehen noch einmal durch die Erzählung durchleben müssen. Oft genug wird das Verfahren eingestellt, was eine zusätzliche Demütigung für das Opfer bedeutet. Auch das unsolidarische Verhalten anderer drogenabhängiger Frauen wird als potenzielle Gefahrenquellen eingestuft. Durch unsolidarisches Verhalten und fehlenden Selbst und Gruppenschutz kommt es nach Meinung der Befragten erst zu Gewaltaktivitäten gegenüber Prostituierten. Viele der drogenabhängigen Frauen leben letztendlich als Einzelgängerinnen, ihre wenigen freundschaftlichen Kontakte sind durchtränkt von Misstrauen und Konkurrenzdenken. Paradoxerweise vertrauen viele drogenabhängige Frauen anderen Frauen nicht, weil sie sich selbst nicht vertrauen und um ihre eigenen Regelbrüche wissen. Gerade für junge Mädchen scheint die Gefahr eines ausbeuterischen Zuhälters besonders groß zu sein. „In ihrem Anlehnungs- und Schutzbedürfnis binden sich die Mädchen an Zuhälter, ohne zu realisieren, dass sie letztlich alle vermeintlichen „Fürsorglichkeiten“ der Zuhälter mit ihrer Sexarbeit selbst bezahlen. Es gibt allerdings auch Strategien gegen die Gefahren, welche sich viele der Frauen mit der Zeit angeeignet haben. Sie haben oft durch ihre Erfahrungen ein Sicherheitsmanagement entwickelt, um mehr Selbstsicherheit im Umgang mit Freiern zu gewinnen. Viele haben ein Bauchgefühl entwickelt, was das Beurteilen von Freiern angeht. Sie lesen Zeichen oder merkwürdige Verhaltensweisen, beispielsweise eine abwertende Haltung gegenüber Frauen oder ein insgesamt ungepflegtes Erscheinungsbild. Auch das Standhaftbleiben, wenn es um den Preis geht, ist von den Frauen eine bewusst gewählte Vorsichtsmaßnahme. Der „Drogenstrich“ befindet sich häufig in einem Sperrgebiet, was bedeutet, dass Prostitution dort illegal ist. Die Frauen unterliegen dort außerdem einer mehrfachen Gefahr, kriminalisiert zu werden, einerseits aufgrund des Besitzes von Drogen, andererseits aufgrund der verbotenen Prostitution in einem Sperrgebiet. Leider führen diese Kriminalisierungen dazu, dass Frauen die Opfer von Vergewaltigungen werden, diese nicht zur Anzeige bringen, da sie befürchten müssen, wegen eines Verstoßes gegen das BtMG oder einer bestehende Sperrbezirksverordnung selber rechtlich belangt zu werden.

Psychische und gesundheitliche Folgen

Wenn drogengebrauchende Mädchen und Frauen anfangen, sich zu prostituieren, steigt auch der Drogenkonsum der Mädchen an. Dieser verstärkte Konsum dient den Frauen dazu, den Freierkontakt überhaupt erst aushalten zu können und eine Dienstleistung erbringen zu können. Auch nach diesem Kontakt wird Konsum eingesetzt, um zu vergessen und das Geschehene zu verdrängen. Dies kann als Anzeichen für die starken Belastungs- und Stresssituationen gelten, denen sich die Frauen aussetzen. Die Drogen übernehmen eine vielfältige Rolle in der Sexarbeit. Der Konsum ist für die Frauen nötig, um sich überhaupt in der Lage zu sehen, mit Freiern umgehen zu können. Er mindert die Angst vor Gewaltausübung und stärkt das Selbstvertrauen, um sich gegen die Freier durchsetzen zu können. Auch während des Kontakts oder mit dem Freier zusammen werden die Drogen konsumiert. Neben dem Konsum illegaler Drogen gibt es noch andere Bewältigungsstrategien, die von Frauen angewandt werden, um die psychischen Folgen der Prostitution zu ertragen. Auch eine Spaltung der eigenen Person ist nicht unüblich. Wesentlich ist an dieser Stelle, dass gerade drogenabhängige Frauen sich oftmals nicht als Prostituierte in dem Sinne verstehen, eher als Zwangsprostituierte, die sich in ihrer Notlage für die Drogenfinanzierung prostituieren müssen. Minderjährige Mädchen erleben zusätzlich jede sexuelle Handlung mit Freiern als Vergewaltigung und sexuellen Übergriff (Sam, 17 J.): „Ich denke da eigentlich, ehrlich gesagt, gar nicht so viel drüber nach, echt nicht. Nur das einzige woran ich denke ist, dass die glauben ich gar nicht so verstehen, dass jedes Mal wenn die Mädchen mitnehmen, dass das jedes Mal ´ne Vergewaltigung ist für das Mädchen. Manche Freier denken wirklich, die anderen haben Spaß dran. Die denken das wirklich.“. Prostitution wird als die endgültige Herabsetzung der eigenen Würde wahrgenommen. Selbstachtung wird ersetzt durch Gefühle von Scham, Ekel und Wertlosigkeit. Die psychischen Folgen sind denen in Kindheit gemachten sexuellen Gewalterfahrungen gleichzusetzen. Neben den psychischen Folgen, die die Sexarbeit für drogenabhängige Frauen mit sich bringt, gibt es noch zahlreiche Infektionskrankheiten wie z.B. HIV, Hepatitis und STI's. Gerade für drogenabhängige Frauen ist es oft schwierig, schützende Maßnahmen wie beispielsweise Kondombenutzung durchzusetzen, da, solange das primäre Bedürfnis nach Drogenkonsum nicht befriedigt ist, auf die eigene Gesundheit nur wenig Rücksicht genommen wird. Mangelnde Durchsetzungsfähigkeit und drohende Entzugserscheinungen unterstreichen dieses Verhaltensmuster. Es gibt aber auch Frauen, welche sich bewusst für die Verwendung eines Kondoms entscheiden, selbst wenn dies nur durch die Erkrankung einer nahe stehenden Person motiviert ist.

Plädoyer für Frauenspezifische Drogenarbeit

Viele Studien belegen, dass Frauen in Angeboten der Drogenhilfe in der Minderheit sind, obwohl etwa ein Drittel aller Drogenabhängigen, Frauen sind. Viele der therapeutische Angebote richten sich gezielt an Männer und sind oftmals für Frauen nicht zugänglich. Es ist nötig, dass sich Institutionen und Trägerschaften an den speziellen Bedürfnissen der Frauen und Männer orientieren, damit Biographien und Traumata aufgearbeitet werden können. In Überlegungen zu den spezifischen Angeboten wäre es wichtig, die Lebenswelt der drogenabhängigen Frauen und ihre gemachten Erfahrungen mit einzubeziehen. Gründe für Konsum, gemachte Erfahrungen als Konsumentinnen in der Szene, Stoffbeschaffung (Beschaffungsprostitution) und eventuelle Ausstiegsprozesse und Perspektiven sind Themen, um die sich neue frauenspezifische Konzepte drehen könnten. Die akzeptierende Arbeit mit drogenabhängigen Frauen ist nur eine von mehreren diskutierten Ansätzen in der Drogenforschung. Die akzeptierende Drogenarbeit richtet ihre Arbeit auf die spezifische Lebenswelt des Individuums und passt ihre Hilfeleistungen an die Bedürfnisse der jeweiligen Person an. In der Regel sind mit akzeptanzorientierter Arbeit niedrigschwellige Angebote gemeint, welche sich durch ihre niedrigen Zugangsvorraussetzungen und geringe Anforderungen an das Besucherinnen kennzeichnen lassen. Daher sind Angebote wie szenenahe Cafés mit einem sozialarbeiterischen Angebot, aufsuchende Soziale Arbeit (Streetwork) und Übernachtungsangebote ein Weg, Kontakt mit den Frauen aufzunehmen. Dieser akzeptierende Kontakt ist wichtig, um über längere Zeit das Selbstbewusstsein der Frauen zu stärken und ihnen Alternativen aufzuzeigen, vielleicht sogar einen Ausstiegsprozess in Gang zu setzen. Im Mittelpunkt steht eine nicht bevormundende, lebensweltorientierte, gesundheitsfördernde und suchtbegleitende Arbeit, um den Zugang zu weiterführenden Hilfsangeboten zu erleichtern.

Sarah Hermes

BA Soziale Arbeit

 

Literaturliste:

Böllinger, Lorenz: Das (noch herrschende) Recht von Abstinenz und Prohibition I:

Strafrecht und Betäubungsmittelrecht. In: Lorenz/Stöver, Heino (Hrsg):

Drogenpraxis, Drogenrecht, Drogenpolitik. Handbuch für Drogenbenutzer,

Eltern, Drogenberater, Ärzte und Juristen. 5. vollst. überarb. Auflage.

Fachhochschulverlag Frankfurt am Main. 2002.

 

Brakhoff, Jutta: Sucht und Prostitution. Lambertus Verlag. Freiburg im Breisgau,

1989.

 

Gersch, Claudia/ Heckmann, Wolfgang/ Leopold, Beate/ Seyrer Yann:

Drogenabhängige Prostitutierte und ihre Freier. Spi – Verlag. Berlin. 1988.

 

Kerschl, Andrea Viktoria: Beschaffungsprostitution und ihre Risiken. In: Wright,

M.T. (Hrsg): Prostitution, Prävention und Gesundheitsförderung. Teil 2:

Frauen. Deutsche Aids Hilfe. e.V. Berlin 2005

 

Kreyssig Ulrike/Kurth, Anne: Daneben gelebt... Drogenabhängige Mädchen und ihre

Lebenswelt. In Fromm: Claudia (Hrsg): Alltagsbewältigung. Rückzug –

Widerstand? Opladen 1984.

 

Leopold, Beate: Minderjährige in der Prostitution. In: Wright, M.T. (Hrsg):

Prostitution, Prävention und Gesundheitsförderung. Teil 2: Frauen. Deutsche

Aids Hilfe. e.V. Berlin 2005

 

Pfingsten, Kathrin: Frauen zwischen Autonomie und Abhängigkeit: zum Verhältnis

feministischer und akzeptanzorientierter Konzepte in der Drogenhilfe. VWBVerlag.

Berlin ,1997.

Zurhold Heike: Entwicklungsverläufe von Mädchen und jungen Frauen in der

Drogenprostitution. VWG-Verlag. Berlin, 2005.

 

Zurhold, Heike: Aufsuchende Sozialarbeit mit Mädchen und Frauen in der

Beschaffungsprostitution. In Deutsche Aids-Hilfe e.V.: Handbuch: Zugehende

Sozialarbeit mit Drogen und Drogen gebrauchenden Frauen und Männern.

Conrad GmbH. Berlin, 2006.