Tag der offenen Tür in den Bordellen - Eine Reportage von Susanne Bleier-Wilp

 Seit Beginn der Corona-Krise und der Schließungsverordnungen im März ist die Rotlicht-Szene quasi arbeitslos. Nicht alle Betriebe schaffen es, diese Krise zu überstehen – viele sind in eine existentielle Notlage geraten.

Sexarbeiter_innen weichen zunehmend in die Illegalität aus und arbeiten trotz Prostitutionsverboten weiter. Um auf diese Situation aufmerksam zu machen, veranstalteten Betreiber_innen von Prostitutionsstätten in ganz Deutschland einen Tag der offenen Tür der Bordelle unter dem Motto „Redlight On“. Auch der Bundesverband sexuelle Dienstleistungen BSD unter der Leitung von Stephanie Klee war Kooperationspartner.

Die Bordelle wollen öffnen

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© Susanne Bleier-Wilp

Die Berliner Zimmervermietung Rose, Freudenhaus Hase, van Kampen, Lady Blond und Elkes Kuschel WG sind nur einige Bordelle, die heute am Tag der offenen Tür der Bordelle deutschlandweit teilnehmen und ihre Pforten für die Öffentlichkeit öffnen.

Mittlerweile sind selbst Friseur_innen, Kosmetiker_innen – also körpernahe Dienstleistungen – und Kontaktsport wieder erlaubt. Nur Bordelle sind in den Dornröschenschlaf versunken.

Vergesst nicht unsere Branche!

„Wir sind auch noch da und fordern Gleichbehandlung mit anderen körpernahen Dienstleistungen!“

Der Bundesverband sexuelle Dienstleistungen BSD hat unter Leitung ihrer Vorsitzenden Stephanie Klee ein 23-seitiges Hygienekonzept für die Sexbranche erstellt, das für jedes Arbeitssetting – Wohnungsbordell, Laufhaus, FKK-Club, Straßenstrich – maßgeschneiderte Hygienemaßnahmen vorstellt. Stephanie Klee entwickelt auch für ihre BSD-Mitglieder individuelle Konzepte.

Für alle Arbeitsstätten gilt: Sexarbeiter_innen und Kund_innen müssen sich nach Betreten des Arbeitszimmers die Hände gründlich waschen und desinfizieren. Allen Kund_innen wird angeboten, sich zu duschen. Für alle Kund_innen gibt es ein eigenes Handtuch und Bettlaken bzw. ein Gummilaken, dass nach ihnen gereinigt und desinfiziert wird, wie auch jedes Zimmer nach einem Kund_innenbesuch gereinigt und gelüftet werden soll.

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© Susanne Bleier-Wilp

Im Freudenhaus Hase fühlen Sexarbeiter_innen sich wohl

Meine erste Station am Tag der offenen Tür ist das Freudenhaus Hase im Wedding das von Elke und Simone geleitet wird. Sie sind ehemalige Sexarbeiter_innen mit eigenem Laden – eine Konstellation, wie man sie häufig in gut geführten Wohnungsbordellen in Berlin antrifft, wo Sexarbeitende sich wohl fühlen.

Als erstes desinfiziere ich mir am Eingang die Hände und schaue mir die laufende Kunstausstellung an. Das Freudenhaus veranstaltet nämlich regelmäßig Events. „Bubbles & Craps“ heißt die aktuelle Ausstellung des Künstlers Clemens Schergaut.

Bordelle passen sich an

Sie haben als Betriebsstätte Corona-Soforthilfe beantragt und kamen dadurch gut durch die Krise, erzählen Elke und Simone. Allerdings haben sie noch nie so wenig Geld verdient wie in diesem Corona-Jahr. Für den Lebensunterhalt wurden Ersparnisse aufgebraucht, der Gang zum Jobcenter war notwendig – was eine sehr erniedrigende Erfahrung sein kann.

Hier im Freudenhaus Hase wird das Hygienekonzept Realität: Der Gast kommt, desinfiziert sich am Eingang die Hände, erhält eine Maske, wenn sie_er keine dabeihat, und die Vorstellungsrunde läuft mit Sicherheitsabstand von 1,5 Metern. In den Zimmern werden die Laken schon immer nach jedem Gast gewechselt.

Die Sexarbeiter_innen vereinbaren mit ihren eigenen Telefonnummern Termine mit Kund_innen und können sie so auch später zurückverfolgen, falls es doch einmal zu einer Infektion gekommen ist. Die Nachverfolgbarkeit ist garantiert. Auch ein Blick in Länder, in denen Bordelle wieder öffnen durften, zeigt: Es ist dort kein größeres Risiko der Corona-Übertragung festgestellt worden.

Schlechte Erfahrungen bei der Anmeldung als Sexarbeiter_in

Die Erfahrungen mit der Anmeldung nach dem Prostituiertenschutzgesetz seien allerdings katastrophal. Es ist erniedrigend, als gestandene_r und erfahrene_r Sexarbeiter_in, die_der seit mehr als 30 Jahren in der Sexarbeit tätig ist, einer Behördenmitarbeiterin Rede und Antwort zu stehen und sich über Safer Sex aufklären zu lassen, während diese Mitarbeiterin gleichzeitig behauptet, Fingerspiele verursachten Krebs, und die_den Sexarbeiter_in fragt, ob sie_er Kinder hätte, sich gesund ernähre und Drogen konsumiere.

Sexarbeitende sollen bei der Behörde auch gefragt worden sein, auf welcher Gradzahl die Wäsche gewaschen wird, so Elke. Kein Wunder also, dass sich viele nicht registrieren wollen. Vom Datenschutz ganz abgesehen.

Drei Jahre Warten auf die Erlaubnis

Doch – es gibt auch was zu feiern: Das Freudenhaus Hase hat nach drei Jahren endlich seine Erlaubnis nach dem Prostituiertenschutzgesetz erhalten. Drei Jahre keine Planungssicherheit und existentielle Ängste liegen hinter ihnen.

Während des Gesprächs mit Elke und Simone erreicht uns die Meldung, dass Sexkaufgegner_innen gerade vor einem Laufhaus in Karlsruhe stehen und dort eine Demo veranstalten. Karlsruhe sorgte kürzlich schon einmal für Schlagzeilen, weil dort mit Beginn der Corona-Krise nicht nur Prostitutionsverbote eingeführt wurden, sondern durch die Hintertür auch eine Freierbestrafung.

Repressive Gesetze erhöhen Gewalt gegen Sexarbeitende

Die Corona-Krise wird auch längerfristig für finanzielle Einbußen in der Branche sorgen: Viele Kund_innen haben wegen der Kurzarbeit weniger Geld für sexuelle und erotische Dienstleistungen. Wenn die Bordelle wieder öffnen, werden sie weniger Umsatz machen als vor der Krise.

Sexarbeiterin Milena, seit 17 Jahren im Freudenhaus Hase tätig, kann die Corona-Krise dank ihres Zweitjobs gut meistern. Andere Kolleg_innen ohne Zweitjob mussten Hartz IV beantragen oder sich einen anderen Job suchen.

Milena würde trotz Corona wieder arbeiten, weil sie sich mit den Schutzmaßnahmen sicher fühlt. Sie würde auf Küssen und Kuscheln verzichten sowie auf bestimmte Sexpraktiken, wo man nicht genügend Freiraum hat. Milena ist seit 23 Jahren Hure und kämpft für die freie Ausübung von Sexarbeit. Sie sagt, dass Sexarbeitende Hygienexperti_innen seien und im Umgang mit STI und HIV geübt – und eben auch mit Corona.

Sexarbeiter_innen sind Hygiene-Expert_innen

Milena schätzt ihre Arbeit im Freudenhaus Hase. Sie arbeitet hier seit 17 Jahren und wünscht sich, dass das Haus wieder geöffnet wird. Sie arbeitet gerne hier und fühlt sich an ihrem Arbeitsplatz wohl.

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© Susanne Bleier-Wilp

Mein Weg führt mich weiter ins Wohnungsbordell Rose ans andere Ende der Stadt. In Lichtenberg, in einem Plattenbau in der Rhinstraße, befindet sich ein Wohnungsbordell, das auch nach außen mit einem Plakat im Fenster wirbt.

In Bayern wurde das erste Bordell geöffnet

Plötzlich die gute Nachricht. Stephanie Klee, langjährige Sexarbeitsaktivistin und BSD-Vorsitzende, empfängt mich begeistert im Treppenhaus des Plattenbaus mit einer frohen Nachricht: In Bayern wurde heute das erste Bordell mit höchstrichterlichen Weihen geöffnet. Aber nur für 1:1 Kontakt. Das könnte der Anfang einer Öffnung der Branche sein und der 16. Juli, der Tag der offenen Tür der Bordelle, ging in die Geschichte ein.

Bei Rose erwartet mich am Eingang Desinfektionsmittel und Sicherheitsabstand zu allen anwesenden Personen. Ich erkunde die gemütlich eingerichteten „Verrichtungsräume“, sprich Schlaf- und Spielzimmer. Eine kleine Kuscheladresse im Plattenbau ist einfach wunderschön. In einem Aufenthaltszimmer tauschen sich die Sexarbeitenden über ihren Job aus und trinken während der Wartezeiten gemütlich Kaffee. Ein großer Flachbild-Fernseher erleuchtet den Hintergrund.

Betreiberin Julia führt mich durch die Zimmer vom Salon Rose. Auch ein Zimmer für den Fetisch- und BDSM-Bereich ist vorhanden und empfängt mit Andreaskreuz und entsprechender Ausstattung.

Zwölf Jahre existiert die Zimmervermietung Rose. Auch Julia hat Corona-Soforthilfe erfolgreich beantragt, um die laufenden Kosten zu finanzieren. Sie hofft, dass es eine erneute staatliche Finanzspritze gibt, damit sie ihre Lebenshaltungskosten decken kann.

In diesem Plattenbau wohnen keine Familien, aber Bauarbeiter, die sich nicht an einem Bordell in ihrer Nachbarschaft stören. Zu ihren Gästen zählen auch viele Renter_innen aus dem Osten.

Überhaupt ist Berlin immer noch zweigeteilt, was die Rotlicht-Branche betrifft. Im Berliner Osten findet man hauptsächlich Massagestudios. Im Osten wird massiert, im Westen gevögelt? Ob Ost oder West: Viele Sexarbeiter_innen bleiben ihrer Branche treu und eröffnen irgendwann einen eigenen Laden.

Kuschelpuff mit Flachbild-TV

Julia liebt ihren Kuschelpuff. Sie sorgt sich, dass sie ihren Laden aufgeben müsste, wenn die Läden weiter geschlossen bleiben. Aber an diesem Tag der offenen Tür und dem Startschuss in Bayern gibt es etwas zu feiern. Und es entsteht hier mit allen Gästen und Besucher_innen die Hoffnung auf baldige Öffnung. Mit Maskenschutz, Desinfektion, frischer Wäsche, Wegwerf-Laken, abwaschbaren Laken und frischen Handtüchern bei jedem Gast. Die Umsetzung des Hygienekonzepts ist auch hier durchaus machbar. Alle sind optimistisch, dass das Prostitutionsverbot bald fällt.