Prävention für Sexarbeiterinnen – ein Beispiel aus der praktischen Arbeit

Sexarbeiterinnen gehören aufgrund ihrer Tätigkeit zu den Gruppen, die von HIV und sexuell übertragbaren Infektionen (kurz: STI = sexually transmitted infections) besonders bedroht oder betroffen sind. Bisher gibt es wenige verlässliche Daten zu ihrer gesundheitlichen Situation. Ein Beispiel praktischer Arbeit aus Duisburg – angelehnt an das niederländische Projekt „Verpleegkundige“ aus Nimwegen – zeigt erneut, dass Sexarbeiterinnen durch auf sie zugehende, einbeziehende Präventionsangebote gut zu erreichen sind. Das Projekt zu aufsuchenden Untersuchungen in Duisburg gibt durch die darin erhobenen Daten einen kleinen Einblick in die gesundheitliche Situation von Sexarbeiterinnen

Aufsuchende Untersuchungen in der Sexbranche Duisburg
von Iris Sperg

Seit 18 Jahren suche ich als Sozialarbeiterin Bordelle, Clubs, Privatapartments und den Straßenstrich in Duisburg auf. Der „Bock“, die regelmäßige Pflichtuntersuchung für Sexarbeiterinnen, war Ende 1993 in Duisburg eingestellt worden. Die geringe Zahl der festgestellten Infektionen rechtfertigte die Pflichtuntersuchung der Sexarbeiterinnen nicht. Alternativ sollte den Frauen ein Beratungsangebot gemacht werden.

Mit der Zeit stellte sich heraus, dass sich die Sexarbeiterinnen neben psychosozialer Beratung auch medizinische Versorgung wünschten. Viele Frauen machten sich Sorgen um ihre Gesundheit, manche hatten keine Krankenversicherung, andere wollten mit ihrem behandelnden Arzt ihr gesundheitliches Risiko wegen ihrer beruflichen Tätigkeit als Prostituierte nicht besprechen.

Die Stadt Duisburg richtete im Jahr 2003 für Sexarbeiterinnen ein anonymes und freiwilliges Angebot für Untersuchungen auf sexuell übertragbare Infektionen ein. Sexarbeiterinnen können sich im Gesundheitsamt kostenlos testen lassen. Allerdings benötigen sie hier einen verbindlichen Termin. Die personellen Ressourcen ermöglichen keine andere Vorgehensweise. Jedoch werden vereinbarte Termine von den Frauen oft nicht eingehalten – oder es kommen Sexarbeiterinnen, die sehr reflektiert arbeiten und ihr berufliches Risiko ohnehin in Grenzen halten.

Die Konkurrenzsituation lässt die Preise fallen

Die EU-Erweiterung bringt Frauen nach Duisburg, die durch den öffentlichen Gesundheitsdienst schwer zu erreichen sind. Insbesondere Frauen aus Bulgarien und Rumänien haben häufig geringe Deutschkenntnisse oder sind Analphabetinnen.

Die Vergrößerung der Duisburger Bordellbetriebe setzt die Frauen zunehmend unter Druck. Verfügte 1994 ein Bordell in Duisburg im Durchschnitt noch über 120 Zimmer, stieg die durchschnittliche Zahl der Zimmer bis zum Jahr 2012 auf 441. Die größere Konkurrenzsituation trägt zu einem Preisverfall bei: Sexuelle Dienstleistungen sind ab 20 Euro zu haben. Die Zimmermieten betragen dagegen zwischen 80 und 180 Euro pro Tag. Die Sexarbeiterinnen vermeiden es daher, ihre Arbeitsplätze für längere Pausen zu verlassen.

Die Werbung in kostenlosen Wochenzeitungen oder im Internet für sexuelle Dienstleistungen lässt keine Wünsche mehr offen. Wo 1994 eine „Dame einen lukrativen Nebenjob“ suchte, werden heute „Gang Bang Partys“ und „alles ohne“, gerne auch „Happy Hours“ angeboten. Sexarbeiterinnen berichten, dass „französisch ohne“ immer häufiger Standard ist.

Junge Frauen verdienen mit Sexarbeit den Unterhalt für ihre Großfamilien in den Heimatländern, für ihre zurückgelassenen Kinder, für deren Schulbesuche ...

Der finanzielle Druck trägt dazu bei, dass diese Frauen häufiger Infektionsrisiken eingehen. Das höhere Infektionsrisiko lässt sich jedoch durch die Statistik der STI-Befunde aus dem Gesundheitsamt Duisburg kaum belegen.

Die Abstriche werden von den Sexarbeiterinnen selbst entnommen

Schließlich entstand aus einem Arbeitskreis des deutsch-niederländischen Zweckverbandes Euregio Rhein-Waal im April 2010 ein für Deutschland innovatives Projekt – nach einem Vorbild aus den Niederlanden: Im holländischen Nimwegen werden im Rahmen aufsuchender Tätigkeit Untersuchungen angeboten. Zwei „Verpleegkundige“ (auf Deutsch: Pflegefachkräfte) gehen in die Szene und bieten einen Abstrich auf Gonorrhö und Chlamydien an, der von den Sexarbeiterinnen selbst entnommen wird. Außerdem können die „Verpleegkundige“ ohne ärztliche Begleitung Blut für Untersuchungen auf Hepatitis, Syphilis und HIV abnehmen. Darüber hinaus impfen sie gegen Hepatitis B.

Mit einer Euregio-Finanzierung konnten im Oktober 2011 und im März 2012 auch in Duisburg aufsuchende Untersuchungen auf Chlamydien und Gonorrhö angeboten werden. Im Oktober 2011 war es möglich, das Angebot mit Sprachmittlerinnen für Rumänisch und Bulgarisch zu begleiten, im März leider nur noch mit einer bulgarischen Sprachmittlerin.

Alle Duisburger Bordelle wurden aufgesucht. Sie liegen nahe beieinander, sodass die Wege kurz waren. Das Untersuchungsangebot wurde bereits im Vorfeld mit den Bordellbetreibern besprochen und stieß auf ein positives Echo. Alle Betreiber stellten Räumlichkeiten zur Verfügung und hängten Flyer zur Vorankündigung aus. Die Resonanz war zu allen Terminen verblüffend gut.

Die Frauen durften sich ein Pseudonym geben, anschließend wurden das Geburtsjahr, die Staatsangehörigkeit und der Krankenversicherungsschutz abgefragt. Schließlich wurden die Frauen um ihre Handynummern gebeten – mit dem Hinweis, dass im Fall einer Infektion eine telefonische Benachrichtigung erfolgt.

Im Oktober 2011 erreichten wir an zwei Abenden 92 Frauen. Im März waren es an zwei Abenden 95 Frauen. Ich schätze, dass etwa 50 Prozent der Sexarbeiterinnen das Untersuchungsangebot wahrnahmen. Im Oktober 2011 hatten von den 92 untersuchten Frauen 14 Chlamydien, 2 Gonorrhö und 4 Koinfektionen. Im März 2012 hatten von den 95 untersuchten Frauen 20 Chlamydien, 2 Gonorrhö und 2 Koinfektionen.

Prostitution gehorcht dem Gebot von Angebot und Nachfrage

Die Behandlung der Infektionen wurde durch das Gesundheitsamt angeboten. Nicht alle Sexarbeiterinnen konnten telefonisch erreicht werden, und von den erreichten Frauen ließen sich nicht alle behandeln. Im Oktober 2011 erhielten nur 8 von 20 Frauen eine Behandlung, im März 2012 waren es nur 10 von 24. Die Gründe hierfür waren unterschiedlich: Zum Teil waren die Frauen nicht mehr in Duisburg ansässig, einige wollten für die Behandlung zu ihrem niedergelassen Arzt gehen oder hielten vereinbarte Termine nicht ein. Im Oktober 2011 hatten von den teilnehmenden Sexarbeiterinnen 11 und im März 2012 20 Frauen einen Krankenversicherungsschutz, den sie in Deutschland nutzen konnten.

Persönliche Einschätzung: Prostitution gehorcht wie andere Wirtschaftszweige dem Gebot von Angebot und Nachfrage. Das Angebot an Sexarbeit hat nicht nur in Duisburg in den vergangenen Jahren extrem zugenommen, während sich die Nachfrage durch die abnehmende Kaufkraft eher verringert. So kommen Sexarbeiterinnen aus Südosteuropa mit dem Wunsch nach Deutschland, am Wohlstand teilzuhaben. Hier geraten sie in Konkurrenzsituationen, in denen es immer schwerer wird, geschützt zu arbeiten. Die Konsequenzen für ihre eigene Gesundheit – aber auch für die Gesundheit der Allgemeinbevölkerung – sind unabsehbar.

Iris Sperg ist Diplom-Sozialarbeiterin und arbeitet in der Beratungsstelle für Aids und STD im Gesundheitsamt der Stadt Duisburg.